Verdammter Montag

Es sah vom ersten Augenblick an nicht nach einem Guten Montag aus. Aber welchem Montag konnte man dies schon nachsagen. Neo Taipei* lag in seinem üblichen Morgendunst, als Kaneda den Tatort erreichte. Und die Szene die sich ihm bot war alles andere als motivierend.

Mehrere Einsatzaeros des NTPD parkten auf der rissigen Betonfläche vor dem Lagerhaus der Zollverwaltung. Hinter den Aeros hockten zahlreiche nervöse Cops und beeobachteten die riesigen Verladetore der Halle.

Ein blauweißer Aero der SID** des Departments jagte in einigen huntert Metern höhe unruhig wie ein Fliege über dem Tatort hin und her. Der Detective blieb einen Moment stehen und suchte das Areal nach seinem Partner Jake Davidson ab. Kaum das er ihn erblickte, hastete er in geduckter Haltung über den von Kühlmitteln verfärbten Boden auf den Aero zu hinter dem Davidson hockte.

Dieser begrüste Kaneda so förmlich wie ihm dies aus seiner geduckten Haltung heraus möglich war.
„Hi, Boss! Gerade rechtzeitig bevor der Spaß beginnt. Sieht aus als wird es ein interessanter Morgen.“
Davidson begann mit einem längeren Bericht, aber eine unbekannte Stimme über Funk unterbrach seinen Redefluß.

„Okay Yamamoto! Sie haben zwei Möglichkeiten. Entweder diese Kids verlassen diesen Ort in einem Aero, den Sie innerhalb der nächsten 20 Minuten hier auf dem Landefeld vor Tor 3 bereitstellen, oder sie werden in Sandwichverpackungen nach Hause kommen! Verstanden? Also: Nur um unseren guten Willen zu zeigen, schicken wir jetzt den Jüngsten heraus.“
Kaneda zog eine Augenbraue hoch. Das merkte doch ein Blinder mit Krückstock, das hier etwas nicht stimmte.

„Kinder auf einem Schulausflug wurden aus ihrer Gruppe heraus gekidnappt, als diese Gangster hier vermutlich heiße Ware umschlugen und die Kleinen ihnen mit ihrer Lehrerin über den Weg liefen,“ erklärte Davidson. „Haben die Lehrerin vor ihren Augen erschossen. Den Augen der Kinder meine ich.“
Kanedas Blick fiel auf den silbrig-grauen Leichensack am Rande der abgesperrten Fläche.

Eines der der großen Ladetore öffnete sich langsam, woraufhin alle versammelten Cops sofort in Deckung gingen. Allein die Anzahl der Geschosshülsen am Boden um die Aeros herum deutete schon auf den einen oder anderen Schußwechsel hin. Hier hatten heute morgen schon einige tausend Schrapnellgeschosse die Atemluft angereichtert.
Kaneda Yamamoto jedoch blieb stehen und hatte somit einen ungehinderten Blick auf das kleine ängstliche Kind, das dort alleine in der Mitte der riesigen Toröffnung stand.
Als das Kind plötzlich über seine Schulter zurückblickte und dann zu laufen begann, hatte Kaneda schon so eine Vorahnung, aber es war zu spät zum Handeln.

Bevor das Kind auch nur wenige Meter zurück gelegt hatte, hallte ein lauter Knall aus dem Inneren der Halle über das Landefeld und ein feiner roter Sprühnebel breitete sich wie in Zeitlupe an der Stelle aus, wo sich eben noch der Kopf und Teile des Oberkörpers befunden hatten.
Als der Laut verhallte ging ein Teil von Kanedas Gedanken mit und brachten ihn Lichtjahre weit weg und Dekaden zurück…

„… Ich, Kaneda Yamamoto, gelobe hiermit die Gesetze und Erlasse der USC Interstellar Patrol aufrecht zu erhalten! Möge mein Herz immer mit den Bürgern der USC sein, um diese zu ehren und meine Hände immer bei Ihnen sein, um diese zu schützen,…“

Das Funkgerät ertönte wieder: „Ich sagte es bereits, Yamamoto! Die einzige Möglichkeit für die Kinder, heile nach Hause zu kommen, ist ein Aero auf dem Landefeld. Oder wir werden sie herausschicken, einen nach dem anderen!“

„… möge mein Verstand immer mit dem Gesetz sein, um dieses auszuführen und meine Kampfkraft um dessen Gegner zu bekämpfen,…“

Ohne sich umzusehen, griff Detective Yamamoto durch die geöffnete Tür des vor ihm parkenden Aero und ergriff das Torika GFR-700 aus der Halterung.
Mit der Waffe locker in der rechten Hand ging Kaneda um den Aero herum zur Front des Fahrzeuges und schritt auf die offene Betonfläche hinaus.

„…ich schwöre die United Solar Confederation, ihre Verfassung und ihre Bürger gegen alle Feinde zu verteidigen,…“

Die im Dunst nur schwach sichtbare Morgensonne tauchte das Areal in ein unwirkliches Licht und Kaneda erschauderte etwas, als er sich zu dem leblosen Körper herunter beugte, mit der Linken Hand hochhob und sich diesen über die Schulter legte. Kaneda konnte bei jedem folgenden Schritt das Knie des toten Kindes in Brusthöhe gegen seine Panzerweste schlagen spüren.
Als er das Tor erreichte, war sein Rücken bereits überströmt Blut das aus dem leblosen Körper rann.

„…ich schwöre meine Treue der USC Regierung und den Prinzipien zu denen sie steht,…“

Kaneda schwang das GFR*** hoch und drückte den Abzug. Eine Ladung Gausschrapnel zersiebt das Tor, welches wie ein Vorhang in sich zusammenfiel. Der schwere Typ dahinter wurde von hunderten kleiner Stahlsplitter zerschnitten wie Papier, was ihn nicht davon abhielt auf Kaneda anzulegen.
Seine ersten beiden Schüsse schlugen in die schwer gepanzerte Weste ein, die seinen Oberkörper schütze. Die dritte jagte einen gleißenden Schmerz wie von glühendem Metall durch Yamamotos Oberarm.
Zähneknirschend schwang die Waffe unterstützt durch Kanedas kybernetische Zielhilfe herum und schlug dreimal gegen seine Armbeuge.
Die Geschosse hinterließen weniger von dem Typen als die seinen von dem Jungen übrig gelassen hatten.

„…Freiheit für die gesamte Menscheit,…“

Kaneda drehte seinen Kopf und sah zu der Treppe hinüber, die zu einer Reihe Büros hinter Glaswänden und einen offenen Besprechungsraum hinaufführte.
Ein schmierig aussehender pickelgesichtiger Teenager in Armeekleidung stürzte eine Pistole schwingend die Treppe und überschlug sich filmreif, als zwei weitere Geschosse der Torika ihn mitten im Schritt trafen. Der zweite Teenie der Kaneda entgegenkam fing instinktiv das leere GFR auf das er ihm zuwarf und wurde von den beiden, mit einer flüssigen und oft geübten Bewegung, gezogenen Cougar Gausspistolen spielend in seinem Ansturm gestoppt und durchsiebt. Die Autoshotgun des Gegners fiel klappernd die Metallstufen herunter, gefolgt von dem Kidnapper.

„…Gleichheit für alle!…“

Als Yamamoto die obere Ebene erreichte, erkannte er blitzschnell die Situation. Bewusstes Handeln war in dieser Situation überhaupt nicht mehr möglich.
Zwei Gangster bewachten die Kids, beide hatten automatische Waffen und der bärtige Typ der aus dem Fenster sah und in sein Funkgerät bellte war ganz sicher der Anführer der Truppe.
Als einer der Bewacher Kaneda entdeckte und plötzlich seine Waffe hob und in seine Richtung schwenkte, tauchte Yamamoto in ein benachbartes Büro und stopfte eine der Cougars in ihr Holster zurück, während die andere Hand die verbleibende Waffe auf Feuerstoß umschaltete.

„…Ich widme meinen Verstand meiner Einheit, um nach der Wahrheit zu suchen und mein Leben der Menschheit um die USC zu verteidigen…“

Vorsichtig lugte der Gangster um die Tür um nachzusehen welcher verrückte Typ an seinen beiden schwer bewaffneten Partnern vorbeigekommen war, als ihm zwei Stahlnadeln Kaliber 3,8mm den Schädel zersplitterten.
Der Rest ging sehr schnell. Kaneda sprang in die Tür zu den anderen Gangstern herein, überschlug sich dabei in einem einhändigen Radschlag in dessen Ausübung er zwei schnelle Feuerstöße auf den sich brüllend herumwerfenden Gangsterboss abfeuerte. Beide Schüsse trafen diesen in der Brust nahe dem Hals, wo sich sein Brustkorb aufspaltete, und ihn selsam verdrehten und wie in Zeilupe zu Boden rissen.
Kaneda kam mitten im Raum zwischen dem verbleibenden Kidnapper und den Geiseln wieder auf die Füße. Der Kerl sah ihn ungläubig und mit weit aufgerissenen Augen an. Kaneda nutzte die Energie der Bewegung, um die Cougar auf den Kidnapper zu richten.

„…und wo ich auch bin für Frieden und Gerechtigkeit im Sinne des Gesetzes zu sorgen!“

Die Cougar zuckte dreimal und der Regen aus Gausgeschossen spaltete den Oberkörper und den Kopf des Gangsters sirrend in zwei Hälften. Das Klingeln in den Ohren klang langsam ab, während Kaneda in seinem und dem Blut des ersten Kindes stand, welches er unbewust irgendwo fallen gelassen hatte und eine tiefe Stille breitete sich in dem Konferenzraum der Zollbehörde aus. Kaneda schloss die Augen, aber das Bild des Blutbades blieb.

Verdammter Montag!


* Neo Taipei ist die Hauptstadt des Planeten New Asia im Ghuangzou System der Territorial League. Ein Dreh und Angelpunkt für schmutzige Geschäfte, leichte Mädchen und schwere Finanzen. Das angesagte Kulturzentrum der TL.

** SID = Special Investigations Division (Sonderermittlungsabteilung) eine Unterabteilung des Neo Taipei Police Departments.

*** GFR = Gauss Flechette Rifle (Gauss Schrapnellgewehr). Die Waffe verschießt ein Mantelgeschoss, dessen Hülle nach dem Austreten aus der Waffenmündung abgestoßen wird und dabei mehrere (in der Regel etwa 10) kleinere Stahlnadeln freigibt, die das Ziel ähnlich einem Schrotgewehr flächig und panzerbrechend treffen. Die besondere Legierung der Nadeln sorgt dafür, das diese beim durchschlagen der Panzerung sich minimal verdrillen und so zu taumeln beginnen, um so den Gewebeschaden zu erhöhen.

Ursprünglich veröffentlicht unter dem Titel: Bloody Mondays auf RiftRoamers.net

Copyright 1991-2013: Mads Arkholm

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