Visionen
Wie betäubt registriere ich, meine Umgebung und wie diese durch mein Blickfeld schwebt. Erinnerungsfetzen, die sich gleich gigantischer holographischer Werbebotschaften als bewegte Bilder in mein Bewußtsein brennen, Szenen meiner Ankunft: Das fiebrige Warten in Bauch des Zubringerschiffes, als wir an Orbital Prime andocken. Das Gedränge in dem die Anderen und ich in das Innere der Station treiben, ohne eine Möglichkeit das Tempo oder gar die Richtung zu bestimmen. Dann die Ordner, jenes Raumhafenpersonal, das für die richtige Verteilung von Passagieren zu ihren Zielorten sorgt. Lautsprecherdurchsagen. Einheitenbezeichnungen. In vier Gruppen geht es letztlich zum Skylift.
Jetzt dieser allumfassende Ausblick, als wir dem Boden entgegenstürzen. Knapp 200 Kilometer freier Fall, bis die Grav-Repulsoren die riesige Kabine an ihrem Kabel sanft abbremsen. Auf den letzten zwanzig Kilometern Höhe kann man nicht einmal mehr die Grenzen der Stadt erkennen, so gigantisch ist dieser Moloch von Gebäuden und Bauwerken aus Stahl, Glas und Beton. Wie der Fall in ein Wattekissen mutet das Durchstoßen der Wolkendecke an, als man direkt unter uns bereits Hightown erkennen kann. Am Zentrum von Hightown, mehr als 1500 Meter vom Rand des schwebenden Stadtteils entfernt, von wo aus Suizidgefährdete den mehr als 4000 Meter tiefen Sprung in Ihre ganz persönliche Erfüllung beginnen können, liegt der Receiver des Skylift.
Es ist als falle man in ein schwarzes Loch, in das die Kabine entlang ihrer Führungsschienen eintaucht und etwa einen Kilometer tiefer im Inneren des Towers – in der Empfangshalle des Receivers – sanft zum Stillstand kommt. Tausende von Leibern, wartende Passagiere, bilden ein Meer aus Farben, eine wogende, chaotische Menge die sich gespenstisch lautlos außerhalb des Skylift bewegt. Ein kurzes Rucken, dann der Druckausgleich und als die Türen sich langsam zur Seite schieben, dringt der tosende Lärm aus der Empfangshalle, gleich der Brandung eines Ozeans, in das Innere der Kabine. Wieder das machtlose Treiben in der Menge. Dem Ausgang entgegen. SID’s beobachten mich auf Schritt und Tritt. Hier eine freundliche Stewardess, dort ein gestreßter Ordner und dann die unvermeidlichen Beamten des High Guard und der TPA. Pässe. Zweck des Aufenthaltes, Aufenthaltsdauer. Oh sie sind Bürger der Stadt. Willkommen Zuhause, Sir. Einen angenehmen Tag noch. Ein Smart-Caddy rollt mit meinem Gepäck herbei.
Dann das Aero-Cab. Der Cabby, wie sowohl Pilot als auch Taxi genannt wird, fragt nicht, sagt gar nichts, Er startet als ich mit meinem Gepäck an Bord bin und reiht sich in den chaotischcn Luftverkehr ein. Ein fragender Blick in den Rückspiegel ist alles was man als Frage nach dem Ziel erwarten kann. NorBee! Dann kommt der Flug über den Rand Hightowns und hinab in das Gedränge der City darunter. Hightown ist eine diskusförmige rotierende Platform, die assistiert durch Gravgeneratoren in etwa 4500 Meter höhe am Plaza Tower verankert und über eine feste Straßenverbindung an die darunterliegende City angebunden ist, jenes gläserne Halbrohr, welches an der Außenwand des Plaza Towers senkrecht herunter führt, wobei eine eigene Schwerkraftanlage dafür sorgt, das einem nicht schlecht wird. Dann die Ruhe. Das Surren der Klimaanlage. Das Gespenstische Verkehrsgewühl außerhalb der getönten Scheiben des Aero-Cabs und das gute Gefühl wieder zu Hause zu sein in dieser Stadt, in der sich Tag für Tag 282 Million Menschen gegenseitig auf die Nerven gehen.
New Sydney…
„84 Cee,“ murmelt der Cabby. Es dauert einen Moment, his ich registriere, das ich nicht mehr über der City bin, sondern auf dem Landing-Pad des Mistral Condo, in dem ich wohne. Ich gebe ihm Neunzig Credit und verliasse das Aero-Cab. Ah! Das Meer hier in North Beach riecht, schmeckt und fühlt sich nach Salz an. Nach ozeanischer Frische. Ein tiefer Atemzug und all die Anspannung, all der Streß und die Belastungen und Horrorvisionen des Krieges sind für einen Augenblick nebensächlich geworden. Zu Hause, endlich zu Hause!
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